Zum Wort "Jahr" (Das Buch von Zeit und Ewigkeit)

 



Im Hebräischen heißt Jahr „schanah“, 300-50-5. Dieses Wort hat als Stamm, als Kern, den Begriff „Verändern“, „Wiederholen“. Merkwürdig, dass Verändern und Wiederholen dasselbe sind. Wir empfinden das nicht so. Aber in der Sprache, im Wort, zeigt sich Verändern als ein Sich-Wiederholen auf einem anderen Niveau: Es verändert sich, wächst, und doch wiederholt es sich. Das Jahr wächst, die Jahre wachsen, es wiederholt sich und es verändert sich. Das hat übrigens auch zu tun mit den Begriffen „schlafen“, „aufnehmen“, „etwas lernen“. Bei uns ist Lernen eine Angelegenheit des Nutzeffekts, und deshalb ist Unterricht eine Art Demagogie. Aber Lernen bedeutet: herausfinden, erfahren, dass es so ist, sich dafür öffnen und nicht daran vorbeigehen.

Schanah enthält in sich auch den Begriff „doppelt“. „Mischnah“, 40-300-50-5, bedeutet „doppelt“. Wenn wir „schanah“ sagen, sagen wir also eine Menge. Das Wort „Jahr“ – ich kenne mich in keiner germanischen Sprache etymologisch aus – sagt mir weiter nichts, aber es wird auch etwas bedeuten. Im Hebräischen sagt es weitaus den meisten auch nichts mehr. Man sagt „rosch haschanah“, 200-1-300 5-300-50-5, und wünscht sich gegenseitig ein gutes neues Jahr. Aber warum ist das Wort so? Was hat es mit diesem Zyklus von 365 Tagen auf sich, der stets wiederkehrt? Die ständige Wiederkehr der Schöpfung im Hier zeigt eigentlich, so könnte man sagen, dass diese Schöpfung noch immer geschieht. Es wird immer noch geschaffen. – Aber wir sind ja schon da? –Ja, in dieser Zeit schon, aber mit diesem Augenblick fällt zusammen der Augenblick, in dem wir entstehen. Eigentlich entstehen wir also neu, während wir denken, wir gehen weiter. Wie ich schon sagte: Wenn eine große Revolution stattfindet, kann es passieren, dass die Tram ruhig weiterfährt, dass das Auto hupt und die Ampel auf Grün steht usw. Und doch vollzieht sich dieser große Übergang. Als ich das sagte, dachte ich an das neue Jahr. Es vollzieht sich in diesem Moment eine Revolution auf der ganzen Welt, während die Verkehrsampeln auf Rot und Grün springen und der Dienst vorschriftsmäßig weitergeht. Man verrichtet wie gewöhnlich seine Arbeit und sagt: „Heute ist bei Euch Neujahr“. Aber in diesem Moment geht etwas von der Welt. Und das sich das stets wiederholt, zeigt, dass es stets aufs Neue geschieht und dass wir ihm stets aufs Neue begegnen. So oft begegnen, dass mit diesen Begegnungen offenbar etwas aufgebaut wird, was allmählich zu einer Totalität wird.


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